Rester vertical

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Forumseintrag zu „Rester vertical“ von deutobald

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deutobald (23.10.2016 14:24) Bewertung
Eine Wanderung & ihre Folgen
Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
Viennale, Tag 2 (circa), huschusch, 10 Minuten Zeit vom Künstlerhaus zum Gartenbau, geht sich locker aus. Hab dank mein Flitzerradl & all ihr grünen Ampeln! Hallo Reihe 13, da bin ich wieder! „Ist da noch frei?“. Gut.

So.

Was kommt? Ahja, ein Französischer (merkt man schon beim Reinkommen: kultiviertes Bürgertum hat fast alle Sitze aufgekauft & wartet murmelnd. Ein paar duften noch nach Foyer-Achterl, praktisch nirgends Chipssackerl. Mit meinen grad mal 40 bin ich einer der Jüngeren. ).
Also. „Rester verticale“ von Alain Guiraudie. Ahja, das ist doch der, dessen „Inconnu du lac“ damals alle Jubelchöre singen hat lassen. Zu recht, das muss ich schon sagen. Der Filmpapa sagt auch selbst kurz Hallo, sichtlich aufgeregt & vorgeblich auch nach dem x-ten Screening noch nicht wissend wie er den Film einleiten soll. Darum geht er wieder & lässt uns allein mit seinem Film.

Und gut ist's, dass er nicht zu viel verraten hat, so rutscht man unvoreingenommen in dieses fröhlich-hübsche Kunstwerk. Eine Zeit lang passiert auch tatsächlich das was in den Inhaltsangaben überall steht: ein mittelalter Drehbuchautor entflieht seiner Krise wandernd, trifft in der Einöde eine Schäferin, zackbumm Liebe (so eine Art), es folgen eskapistische Tage auf dem Bauernhof, ein Kind kommt, sie will es nicht (hat schon 2, Beziehung wär ihr lieber), also lässt sie den midlife-kriselnden Wurschtl allein mit dem Schreibaby, ihrem naturgewaltigem Grummelvater und ein paar hundert Schafen.
Dies die Ausgangslage.
Von da an könnts fad werden oder schlimmer: „2 Männer und ein Baby“ als Autorenfilm. Wirds aber nicht, versprochen. Denn der gebeutelte Neovater kommt herum, flieht ein bissl, kehrt zurück und auf seinen Wegen begegnen ihm u.a.: ein ländlicher Schönling, ein gebrechlicher Alter von dem sich jener aushalten lässt, eine enigmatische Wald-Therapeutin, sein fescher Literaturagent (quasi die Antithese zum weichlichen Autor), ein ziemlich eigenartigster Selbstmord, Wölfe und jede Menge atemberaubender Gegend. Tragisches folgt auf Komisches & umgekehrt, abgeschmeckt mit ein bissl Surrealismus & Absurdität. Das alles virtuos hineingegossen in die schönste Landschaft & magischstes Licht, man möcht sich das Wohnzimmer mit Standbildern tapezieren...
Falls Sie zu denen gehören die wegen Handlung ins Kino gehen & Ihnen bei „Inconnu du lac“ zu wenig passiert ist, das ist hier anders. Und doch strahlt der Film eine süffisante Ruhe aus, die einem den trübsten Sonntag zum Fest machen kann.

Ich hab zwar selten so bereut ein Filmemacherinterview im Anschluß an ein Viennalescreening nicht gehört zu haben (diesmal hatte ich 12 Minuten bis zum nächsten Film), allein schon wegen des schelmischen Grinsers mit dem Herr Guiraudie vermutlich in den Saal zurückgekehrt ist und auch Fragen hätt's genug gegeben. Andrerseits ist das ja bei Filmen wie mit Menschen: nur die langweiligen durchschaut man ganz & am liebsten hat man jene an denen immer ein Gutteil Rätsel bleibt.

Wo ich meinen nächsten Wanderurlaub mache, weiß ich auch so schon.
 
 

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