Elle

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Forumseintrag zu „Elle“ von MrsBlonde

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MrsBlonde (01.10.2018 00:22) Bewertung
Tough Business.
Eigentlich wollte sie nur schnell die Katze ins Haus lassen. Doch dann wird sie von einer maskierten Gestalt überrascht und zu Boden geworfen. Eine Vergewaltigung findet statt. Danach ist für Michèle (Isabelle Huppert) nichts mehr wie zuvor. Sie, die ihr Leben fest im Griff hatte, sieht sich in einer ihr unbekannten Situation gefangen: Scheinbar das erste Mal im Leben nimmt sie die Rolle der Unterlegenen ein. Und um dies zu ändern, dreht sie das perfide Katz-und-Maus-Spiel um: Der Jäger wird allerdings nicht zum Gejagten, sondern vielmehr zum Kumpanen.

Die bitterböse Handlung von „Elle“ basiert auf dem 2012 erschienenen Roman „Oh…“ von Philippe Djian. Es ist der erste französischsprachige Film des Niederländers Paul Verhoeven, einem vor allem innerhalb Hollywoods gern gesehenen Filmemacher, der in der Vergangenheit Erfolge mit Blockbustern wie „RoboCop“ oder „Basic Instinct“ feierte. Verhoeven, oftmals Provokateur, schuf mit „Elle“ nun ein Werk, in dem gängige Moralvorstellungen über Bord geworfen werden. Dies manifestiert sich vor allem anhand der Protagonistin: Michèle führt ein skrupelloses Leben, privat wie auch beruflich. Als Leiterin eines Videospielunternehmens haben ihre Angestellten gleichermaßen Respekt wie Angst vor ihr. Ihre Nobelvilla bewohnt sie alleine, ihr Sohn (Jonas Bloquet) ist längst ausgezogen, dessen Vater (Charles Berling) ebenso - vor einiger Zeit, nach der Scheidung. Sie ist jedoch keineswegs einsam, hat sie doch mit dem Mann ihrer besten Freundin (Anne Consigny) eine Affäre, von der natürlich niemand etwas ahnt. Als sie überfallen wird, gibt es keine Zeugen. Nur ihr Kater wird zum stillen Beobachter des Horrorszenarios.

Michèle informiert nicht die Polizei, erwähnt ihrem Sohn gegenüber lediglich einen Fahrradunfall, als dieser sie auf ihr blaues Auge anspricht. Ihren Freunden erzählt sie während eines gemeinsamen Essens beiläufig vom Vorfall. Als der Täter sie immer wieder heimsucht, macht Michèle es sich zur Aufgabe, dessen Identität herauszufinden. Als ihr dies letztendlich gelingt, führt sie ihr Weg abermals nicht direkt zur Polizei, sondern sie wird zur Komplizin in einem sadistischen Spiel: Einer Vollkommenheit zwischen Macht und Unterwerfung. 1971 sorgte Sam Peckinpah für Aufsehen, als er in „Straw Dogs“ eine Vergewaltigungsszene zeigte, in der das Opfer Gefallen an der Tat zu haben schien. 2016 führte Verhoeven diesen Gedanken weiter und entwickelte daraus das grundlegende Motiv von „Elle“.

Die Premiere des Films fand während der Internationalen Filmfestspiele von Cannes 2016 statt, wo „Elle“ auch im Wettbewerb um die Goldene Palme nominiert war, letztendlich allerdings dem britischen Milieudrama „I, Daniel Blake“ unterlegen ist.

“She’s what I would call almost like a post-feminist character, building her own behavior and space.” meint Huppert während dem New York Film Festival über ihre Rolle. “She doesn’t want to be a victim, that’s for sure, but she doesn’t even fall into the caricature of the revenge avenger. She’s somewhere else.” Und genau da liegt auch die Besonderheit von „Elle“: Michèle wird nicht einfach nur als Opfer dargestellt - eine "der Frau" typisch zugeschriebenen Rolle. Ihre Charakteristik ist viel komplexer, sie wirkt geradezu omnipotent. Ihre Beweggründe zugleich undurchschaubar wie auch konsequent.

Die Figur der Michèle vereint auch noch zwei Attribute miteinander, die auf den ersten Blick unvereinbar erscheinen: Tragik und Komik. Schwarze Komödie meets amüsantes Drama. Die Handlung ist zwar durchzogen von ernsten Thematiken - im Hinblick darauf sticht neben der Vergewaltigung vor allem die Serienmörder-Vergangenheit von Michèles Vater ins Auge - das Skript ist allerdings pointiert witzig verfasst, was gerade die Besonderheit dessen ausmacht.

Nicht nur die expliziten Szenen des Überfalls erinnern uns an unsere voyeuristische Position im Kinosaal, sondern man wird als Zuseher scheinbar hautnah Zeuge von absurden Familienzusammenkünften, harten Konkurrenzkämpfen und gewinnt einen Einblick in das Leben einer scheinbar grotesk anmutenden Frau - erzkatholisches Nachbarehepaar (Virginie Eifre & Laurent Lafitte) inklusive. Verhoeven ist mit „Elle“ die Synthese zwischen Psychothriller, Schwarzer Komödie und Vergewaltigungsdrama gelungen, die vor allem durch die starke Darstellung seitens Huppert ins Auge sticht.
 
 

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