Die Schüler der Madame Anne

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Forumseintrag zu „Die Schüler der Madame Anne“ von LucyVonTrier


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LucyVonTrier (11.11.2015 22:15) Bewertung
Chancen durch Zusammenarbeit
Kopftücher ausziehen, Kreuze verstecken, Handys ausschalten und Kappen absetzen. Eine Klasse in einer Banlieue - einem Vorort von Paris: Jugendliche aus unterschiedlichen Familien ohne Perspektiven, haben durch Abwerten von Lehrern auf schlechte Noten kein Vertrauen mehr in ihre Schulleistung. Kulturen und Schichten treffen aufeinander im dritten Regiewerk der Franzosin Marie-Castille Mention-Schaar.

Für die Schüler zählt scheinbar nur, wer die schönere Frisur hat, auf welche Party man geht oder welche Kleidung angesagt ist. Aus der Sicht der Schulleitung ist die Klasse eine Katastrophe. Bis Madame Anne Gueguen (Ariane Ascaride) sie übernimmt und voller Motivation mit einem neuen Projekt aus der Reserve lockt. Die Spannung steigt in der Szene als Madame Gueguen sich dem lauten Klassenraum mit selbstsicherem Schritt nähert, bis er verstummt als sie den Raum betritt und zeigt, wie sie mit dieser wilden Bande umgehen will. Ariane Ascaride spielt die Hauptrolle gekonnt mit einer humorvollen Bestimmtheit die einfach jeden Sturkopf mitreißt und so hat obwohl sie kleiner als fast alle Schüler ist, jeder Respekt vor ihr.

Madame Anne möchte mit den Schülern an einem Wettbewerb teilnehmen und zum Thema „Kinder und Jugendliche im System der nationalsozialistischen Konzentrationslager“ Stellung nehmen. Kein Test, keine Prüfung, kein Mitschreiben! Das Thema der NS-Zeit ist schwierig und geht doch jeden etwas an. Das begreifen auch die Schüler Stück für Stück und beginnen einen Gruppenantrieb zu entwickeln in dem sie recherchieren um mehr darüber zu erfahren, und sogar gemeinsam ein bewegendes Gespräch mit einem Zeitzeugen führen.

Durch neue Perspektiven auf die Vergangenheit beginnen sie sich auch gegenseitig anders wahrzunehmen und Jeder und Jede von ihnen entwickelt seine Persönlichkeit weiter. Auf einmal geht die aufmüpfige Mélanie (Noémie Merlant), die normal lieber ihre Kopfhörer im Unterricht aufbehält in die Bibliothek und der schüchterne Streber Théo (Adrien Hurdubae) beginnt mit seinen Mitschülern zu reden. Die Charaktere sind authentisch und glaubwürdig gespielt als wären sie direkt den Pariser Vorstädten entnommen. Die Geschichte hat sich nämlich auch schon in der Realität abgespielt und gab die Idee für den Film. Vor allem der Kontrast und die Konflikte zwischen den Schichten spielen eine bedeutende Rolle. Zwischen Menschen unterschiedlichen Alters, Weltanschauungen, Herkunft, Hoffnungen und Lebensumständen ergeben sich im Laufe des Filmes immer sinnvollere Arten der Kommunikation.

Ab dem Moment in dem die Klasse von der Idee begeistert ist, ist der Film leider recht vorhersehbar und auch die Musik von Ludovico Enaudi drückte gegen Ende mit zu altbekannten Mitteln auf die Tränendrüse. Er erinnert mich sehr an „Die Kinder der Monsieur Matthieu“ nur in weiblich und interkulturell. Er fügt sich durch den Aufbau und die grundmoralisierende Art der Geschichte gut in die Standards der französischen Schulfilme ein.

Freundschaft und Geborgenheit sind auch hier essentiell, vor allem wenn das Aufeinandertreffen von unterschiedlichen Kulturen immer Spannungen erzeugt. Der Film war insgesamt sehr berührend und trägt eine weise Botschaft über Bildung und Hoffnung in die Welt hinaus: Zusammenarbeit bringt einen nicht nur besser ans Ziel sondern auch persönlich weiter.
 
 

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