Das brandneue Testament

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Forumseintrag zu „Das brandneue Testament“ von LucyVonTrier

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LucyVonTrier (15.01.2016 17:04) Bewertung
Catherine „Jane“ Deneuve in moralischer Komödie über Lebenssinn
Sie warten auch schon lange auf die erlösende Nachricht mit ihrer zu erwartenden Lebenszeit?

Die kleine Ea, Tochter von Gott (Benoît Poelvoorde), schreibt einfach jedem auf der Welt eine SMS mit seiner verbleibenden Zeit und schaut mal was passiert.

Der belgische Regisseur Jaco van Dormael macht den Einstieg in die Geschichte leicht mit der Stimme der neunjährigen Ea (süss Pili Groyne) die fast durchgehend in der ersten Person erzählt.

Nachdem Ea sich nicht mit ihrem Vater versteht, bricht sie aus der elterliche Wohnung voller Verbote, die sie noch nie verlassen durfte, aus. Aber nicht ohne Rache an ihrem Vater zu üben.
Gott ist nämlich eigentlich böse! Als Patriarch bestimmt er die Regeln in seiner konservativen Kleinfamilie und wird der Tochter mit seinen gewalttätigen (und angedeutet pädophilen) Marotten zum Alptraum. Reflektiert wird auch die Schöpfungsgeschichte mit unerwarteten Bildern von Giraffen auf Großstadtkreuzungen, Straußen im Supermarkt (was offensichtlich nicht passt), und Adam und Eva, die als Eltern eine Menschheit erschaffen, die sich im Namen Gottes gegenseitig bekriegt.
Damit trifft der Filmemacher ein brandaktuelles Thema: die Instrumentalisierung von Religion und ihre Auswirkungen in der globalisierten Welt.
Ea macht den Computer von Gott, das Spielzeug, mit dem er sich seine Langeweile vertrieben hat und so die Menschenwelt erschaffen hat, unbrauchbar und nimmt ihm so alle Macht.
Tipps gibt ihr dabei der coole große Bruder Jésus (David Murgia), der eigentlich schon tot ist, aber auf ihrem Regalbrett manchmal aus seinem Verbleib als Ministatue hervortritt um seiner Schwester Mut zu machen.
Eine humorvolle Idee, wie er so auf Augenhöhe mit ihr redet, und doch auf skurrile Art klein ist.
Das Ausbrechen aus der eigenen Familie in der man unglücklich ist, spricht sicher viele Teenager an und ist traumhaft dargestellt mit einem Tunnel in der Rückwand der Waschmaschine. Dieser enge Gang , durch den das Kind perfekt passt ist fast so mystisch wie in „Coraline“, bei dem es auch um ein Mädchen geht, das aus der eigenen Familie in eine bessere Welt flüchtet.
In der Menschenwelt findet Ea, mit ihren glänzenden Kulleraugen und den naiven Fragen über Altwerden, Jungbleiben und Familie leicht Anschluss.
Vor allem sucht und findet sie sechs Aposteln, deren Geschichten sie im „brandneuen Testament“ von ihrem Weggefährten, dem obdachlosen Victor aufschreiben lässt. Zum Beispiel die Geschichte der gelangweilten Martine (Catherine Deneuve), die zuerst mit einem Jungen von der Straße für Geld schläft und dann mit einem Gorilla aus dem Zoo (den sie sich einfach kauft).
Durch die Begegnungen dieses Wunderkindes verändert sie nicht nur das Leben der Menschen mit denen sie redet, sondern auch ihr eigenes. Sie verliebt sich in Willy, den Jungen, der ein Mädchen sein will, als er erfährt, dass er bald stirbt. Die Liebe ist ein wichtiges Thema in diesem Film, bei Tieren wie bei Menschen, wirkt bei den Kindern doch etwas gestellt. Die beiden bauen sich ihre Wunderwelt in einem halb verfallenen Haus und tanzen kindlich zu Rock’n’Roll Musik. (Erinnert stark an die zwei kleinen Rebellen in Moonrise Kingdom von Wes Anderson).
Doch vor Gott ist man nicht lange sicher, und da Brüssel nicht groß ist, hat Eas Vater sie bald gefunden und will Rache. Die einzige Lösung in der Not: einfach mal so über Wasser gehen. Sehr amüsant anzusehen, wie der nun machtlose Gott beim Nachahmungsversuch in den Fluss platscht.

Hier werden massig visuelle Effekte, vor allem Unschärfen eingesetzt, um die Erzähler, die gefundenen Aposteln jeweils in den Vordergrund zu versetzen. Ist es heutzutage wirklich so schwer für den normalen Kinogeher, zu verstehen, wer im Bild der Erzähler ist? Viel Phantasie braucht man jedenfalls nicht, da einem alles haargenau erklärt und gezeigt wird.
 Diese Optik ist mir persönlich zu geschönt und kitschig, so dass ich den Film nicht ohne Zweifel, ob das wirklich nötig ist, betrachten konnte.
Alles wird romantisiert und idyllisch gemacht, jeder (ausser Gott) ist eigentlich lieb, vor allem aber Ea, die sich sanft an die Schulter der Menschen legt um die Melodie des Herzens zu hören, und sogar als Übersetzerin von verliebten Tieren dient. 
 
 

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