Caines Corner
Caines Corner: Fahrraddiebe

Caines Corner: Fahrraddiebe

Was haben Fahrraddiebe mit der aktuellen wirtschaftlichen Situation zu tun?
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von (LeanderCaine)
Als ich kürzlich Vittorio de Sicas neorealistisches Meisterwerk „Fahrraddiebe“ aus dem Jahr 1948 angeschaut habe, ist mir aufgefallen, dass der Film nicht nur zeitlos ist, er ist sogar aktueller denn je. Im Film geht’s darum, dass ein fast mittelloser Familienvater einen dringend benötigten Job nur mit einem Fahrrad bekommt, da er dieses für die Arbeit benötigt. Dieses Rad wird ihm gestohlen. Auf der Suche danach macht er mit seinem Sohn eine Pause in einem Restaurant, wo sie zuerst Eier bestellen, diese aber um diese Zeit nicht mehr angeboten werden. Viele Jahrzehnte später erlebt Michael Douglas in „Falling Down - Ein ganz normaler Tag“ eine ähnliche Situation, aber er drückt sein Unverständnis etwas radikaler aus.

Zurück zu den „Fahrraddieben“: Dabei beobachtet der Junge am Nachbartisch eine andere Familie, die es sich gut gehen lässt. Der Kellner kommt mit dem Servieren kaum nach. Und auf dem anderen Tisch sitzen Vater und Sohn, die wahrhaft am Hungerstuch nagen. In einem Kommentar meint der Vater, dass man so eine Menge an Essen sich nur mit einem Vermögen leisten könne. Im kürzlich erschienen Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ des berühmten Ökonomen Thomas Piketty ist er nach der Analyse von Daten von drei Jahrhunderten drauf gekommen, dass sich der Reichtum der Reichen auch in der Krise vergrößert hat, wo hingegen die Armen ärmer geworden sind. Besonders in schwierigen Zeiten wächst Vermögen stärker als Arbeitseinkommen.

Reichtum wird meistens vererbt - durch Leistung ist es kaum möglich ein Vermögen aufzubauen. Für mich ist das keine Überraschung. 66 Jahre nach dem berühmten Fahrraddiebstahl aus dem italienischen Filmmeisterwerk hat sich offensichtlich nichts geändert.
Mehr dazu auf Uncut:
Fahrraddiebe
Der Autor
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LeanderCaine


Forum

  • Timing

    Perfektes Timing für diese Kolumne. Vor wenigen Tagen noch bei Caines Corner, und heute hat Roy Andersson, der Gewinner des Goldenen Löwen in Venedig bei seiner Dankesrede von diesem Film geschwärmt.
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    06.09.2014, 23:39 Uhr