Der Kick

Bewertung durch Harry.Potter  85% 
Durchschnittliche Bewertung 85%
Anzahl der Bewertungen 1

Forumseintrag zu „Der Kick“ von Harry.Potter

uncut_profilbild_558ce708a7.jpg
Harry.Potter (12.02.2006 23:45) Bewertung
Außergewöhnlich - beklemmendes Kino aus und über Deutschland

Es geschah im Juli 2002: eine Gruppe von drei Jugendlichen Skinheads prügeln und treten ihren „Freund“ Marinus zu Tode. Nicht etwa im Affekt im Zuge eines Handgemenges, sondern aus einer Mischung von Gefühlen, zusammen gebraut aus aufgestauter Agression, Judenhass, verpfuschter Zukunft und Alkohol. Als Vorbild dient ihnen eine Szene aus dem amerikanischen Film „American History X“. Die Täter sind alle um die 16 Jahre alt und stammen aus ländlichen Familien. Leider ist dies keine erfundene Geschichte, sondern die beinharte Realität. „Der Kick“ ist die Verfilmung des gleichnamigen Theaterstücks von Andres Viel, das aus den verschiedenen Zeugenaussagen, Vernehmungsprotokollen und über 20 Einzelgesprächen mit den Betroffenen bzw. Hinterbliebenen montiert wurde.

So erschütternd die Geschichte an sich schon ist, so ungewöhnlich ist ihre Umsetzung. Wie schon erwähnt handelt es sich um eine Montage einzelner Aussagen, die ohne verbindenden Erzähler oder filmischer Rekonstruktion der Chronologie scheinbar beliebig aneinander gereiht wurden. Außerdem gibt es nur zwei Darsteller, einen Mann und eine Frau, die in die unterschiedlichen Rollen schlüpfen, von einer Minute zur anderen verwandelt sich die Mutter des Opfers zu Marco, dem Haupttäter oder der Staatsanwalt zur Mutter des Opfers. Keine Verkleidung ist nötig, kein großartiges Bühnenbild, lediglich die Mimik, Gestik und die Sprache verändern sich. Gerade durch diesen reduktionistischen Ansatz bekommen die Dialoge aber eine ganz unheimliche und beunruhigende Eigendynamik. Nichts lenkt den Blick ab oder gäbe dem Publikum eine Chance, sich in irgendeiner Weise aus der Affaire zu ziehen. Die Handlung, die auf der Leinwand erzählt wird, spielt sich in den Köpfen der Zuseher ab, detaillierter und authentischer, als es jede Inszenierung je fertig bringen könnte.

Sowohl Markus Lerch als auch Susanne-Marie Wrage faszinieren mit ihrer beinahe augenblicklichen Wandlungsfähigkeit, ihrer authentischen Schilderung der Ereignisse aus den unterschiedlichen Perspektiven. Diese Leistung ist umso mehr zu würdigen, wenn man weiß, dass sie sich nur aus dem vorliegenden Textmaterial, das anhand der Aufzeichnungen erstellt wurde, in die jeweiligen Rollen hinein versetzen mussten.

Somit ist das Theaterstück mit seinem ungewöhnlichen Ansatz in sich bereits die wahre Meisterleistung, der Film setzt diese „nur“ noch auf die Leinwand um und bringt das Thema in eine größere Öffentlichkeit. Dafür gebühren dem Regisseur und allen Beteiligten höchster Respekt.

Für uns, die wir das Ganze bloß angewidert, fassungs- und hilflos mitansehen können, bleiben die Fragen danach, wie so eine Tat überhaupt möglich werden konnte. Wer hat versagt? Hätte man es verhindern können? Gibt es ein Rezept, die gesellschaftliche Gefahr seitens rechtsradikaler Jugendlicher und ihrem immensen Gewaltpotential auszumerzen bzw. gewaltfrei zu kanalisieren? Auf jeden Fall liegt mit „Der Kick“ eine gnadenlose, gänzlich nicht sensationsgierige, Chronologie eines brutalen Mordes unter Jugendlichen vor. Und das in Form eines außergewöhnlichen Filmes.

Das Theaterstück verdient sich 100 %, und die Schauspieler im Film mindestens genauso. In der Gesamtnote bleibt aber anzumerken, dass der Film nichts Zusätzliches zum Theaterstück liefert, also gibt es als Gesamtnote 85 %.
 
 

zum gesamten Filmforum von „Der Kick“
zurück zur Userseite von Harry.Potter